Reisebericht "Kanada mit Yukon"

Mit dem Direktflug von Frankfurt nach Whitehorse beginnt mein Kanuabenteuer. In Whitehorse, Ausgangspunkt der meisten Kanutouren am Yukon, treffe ich die übrigen Reiseteilnehmer; sieben an der Zahl. Letzte Einkäufe leiten den nächsten Tag ein, bevor wir, wenige Gehminuten vom Hotel entfernt, unsere Kanus zu Wasser lassen. Zuerst erhalten wir Anfänger von unserm Guide Peter eine theoretischen Einführung in die richtigen Paddel- und Steuertechniken. In der Praxis stellt sich das Ganze dann doch als relativ simpel dar: der Vordermann muss nur kräftig durchziehen, der Hintere gibt die Richtung an. Nach einigen Übungen geht's dann los und wir folgen von nun an dem Lauf des Flusses.
Bald haben wir uns an die Paddelei gewöhnt und können einigermaßen gerade Kurs halten. Es geht flott voran; kein Wunder, hat doch der Yukon eine Fließgeschwindigkeit von rund 8 - 10 km/h! Aber, nach einigen Stunden ist die Gaudi auch schon wieder vorbei - wir sind am Lake Laberge angelangt! Hier mündet der Fluss in einen zwar nur 4 km breiten, dafür aber über 60 km langen See, der für seine plötzlichen Wetterumschwünge mit Stürmen und 2 m hohen Wellen berüchtigt ist.

Die nun fehlende Strömung bringt es mit sich, dass wir ab jetzt kräftig unsere Paddel einsetzen müssen und daher schon bald unsere Armmuskel zu schmerzen beginnen. Wir machen daher bald darauf Schluss für diesen ersten Tag und steuern einen Lagerplatz am Ufer an. Doch zu früh gefreut! Sobald man nur einen Fuß an Land setzt, stürzen sich Myriaden von Stechmücken über einen, um nur ja einen Tropfen Blut zu ergattern. Man(n) und auch Frau versucht daher, jede offene Hautstelle zu bedecken, was naturgemäß nur schwer gelingt. Aber, soviel sei vorweg verraten: auch daran gewöhnt man sich und schon bald verfügt man über die notwendige Gelassenheit dieses Übel zu ertragen. Nebenher gibt's zur Ablenkung ja auch noch die Arbeit, denn die Boote müssen entladen, die Zelte aufgebaut, Brennholz gesammelt und ein Lagerfeuer entzündet werden. Wir teilen uns natürlich die Arbeit und schon bald hängt eine verführerische Duftwolke über dem Lager, das Abendessen ist fertig! Nach dem gemeinsamen Abwasch wird noch ein bisschen am Lagerfeuer geplauscht, worauf sich bald die ersten in ihr Zelt zurückziehen. Trotz Mitternachtssonne schläft es sich prächtig, es war ja auch ein anstrengender Tag.
Gut, dass wir es nicht wissen: der nächste Tag wird noch härter!
Der See fordert unsere ganze (Anfänger-)Kraft; trotz andauernder Paddelei vermeint man nicht vorwärts zu kommen, ja förmlich am Wasser zu stehen. Nachmittags kommt auch noch starker Gegenwind mit halbmeterhohen Wellen auf, der das Ganze noch verschlimmert. Gegen Abend endlich flaut der Wind immer mehr ab bis der See wie ein Spiegel vor uns liegt. Die Sonne scheint warm und wir können noch ein Bad nehmen - die Welt ist also wieder in Ordnung!

Gottseidank erreichen wir am nächsten Vormittag bei Lower Laberge wieder den Yukon und somit das Ende des Sees. Die Siedlung wurde schon vor Jahrzehnten verlassen und nur mehr ein paar verfallene Hütten und verrostete Wracks zeugen von der ehemaligen menschlichen Niederlassung. Die Natur holt sich ihren Teil wieder zurück.
Von nun an wird es wieder gemütlicher, wir lassen uns vom Fluss ziehen und paddeln nur wenn es uns gefällt. Wir haben ausführlich Zeit, die vorbeiziehende Landschaft mit ihrer geologischen Vielfalt zu beobachten und uns überdies interessante Rezepte für das Abendessen auszudenken. Wir passieren die Mündungen des Teslin River und des Big und Little Salmon River. Der Yukon weitet sich langsam auf und immer öfter zerteilen Inseln und Inselgruppen den Flussverlauf.
Erst fünf Tage, nach dem wir Whitehorse verlassen haben, treffen wir das erstemal wieder auf eine ständig bewohnte Siedlung. Carmarcks, direkt am Klondike Highway gelegen, ist unser Ziel. Hier legen wir einen Tag Pause ein, um neue Lebensmittel zu beschaffen. Wir nutzen den Tag zur Körperpflege und besuchen das öffentliche Hallenbad (der Fluss ist dazu einfach zu kalt!).
Am nächsten Tag setzen wir unsere Reise fort, allerdings nur mehr mit vier Booten, nach dem uns eine Pärchen in Carmarcks verlassen hat. Kurz darauf nähern wir uns der einzigen noch vorhandenen "anspruchsvollen" Stelle des Flusses. Wir müssen durch die Five Finger Rapids. Obwohl diese Stromschnellen schon vor rund 100 Jahren durch teilweise Sprengung der Felsen im Fluss entschärft wurden, sind doch noch einige beachtliche Wasserwalzen zu durchfahren, was die ganze Aufmerksamkeit der Kanubesatzungen erfordert. Dank Peters Anweisungen halten sich die Wassereinbrüche in Grenzen und bleiben alle einigermaßen trocken.

Später erreichen wir mit Fort Selkirk eine weitere aufgelassene Siedlung, deren Häuser aber noch sehr gut intakt sind bzw. zum Teil wieder renoviert werden. Die Siedlung wird von Indianern - von den Kanadiern "First Nation" genannt - zeitweise auch wieder genutzt, zum Beispiel beim Fischfang im Sommer.
Am Abend des selben Tages kommt es zu einem verhängnisvollen Zwischenfall:
Nach Mitternacht - alle liegen nach den allabendlichen Plauschereien am Lagerfeuer bereits in ihren Schlafsäcken - sind von den Booten am Fluss eigenartige Geräusche zu vernehmen. Irgendwer aus der Truppe kriecht aus dem Zelt um nachzusehen und festzustellen, dass es sich um einen Schwarzbären handelt!
Sofort werden alle geweckt und Peter holt sicherheitshalber seinen Karabiner hervor, den er stets mit sich führt, wenn er im Wald unterwegs ist. Noch hat der Bär keine Notiz von uns genommen. Peter versucht daher, ihn vorsichtig auf sich aufmerksam zu machen um ihn damit zu verscheuchen, was einer normalen Reaktion eines Bären in einer solchen Situation entspricht. Nicht aber dieser Bär! Er attackiert sofort und läuft auf Peter zu, der reagiert ebenso schnell und schießt, worauf der Bär fünf Meter vor ihm getroffen zusammenbricht. Nach dem wir sicher sind, dass der Bär tatsächlich nicht mehr lebt, wird für den Rest der Nacht ein Wachdienst eingeteilt, worauf sich der Rest wieder in die Schlafsäcke zurückzieht.

Am Morgen darauf verständigt Peter über Satellitentelefon seinen Chef vom nächtlichen Vorfall. Der gibt ihm bekannt, dass er Abschuss an die dafür zuständige Wildbehörde melden muss. Es ist zwar keine Todsünde, in Kanada einen Bären zu schießen, aber es kommt bei dieser Behörde auch nicht gerade Freude darüber auf. Also bekommt Peter die Anweisung, das Fell, die Tatzen und den Kopf des Bären mitzunehmen und in Dawson City, unserem Zielort, der Behörde zu übergeben. Der Grund dafür besteht darin, dass der Bär vermessen und damit sein Alter bestimmt werden kann und um einen Trophäenhandel zu unterbinden. Das Dumme ist nur, bis nach Dawson City sind es noch vier Tagesreisen! Wir bekommen also das Vergnügen, den Bären nicht zur zu zerlegen, sondern ihn auch noch 4 Tage mit uns herumzuführen. Wir machen uns also ans Werk und mithilfe einer Plastikplane verpacken wir die geforderten Überreste zu einem feinen Paket, das anschließend in Peters Boot deponiert wird.
Daraufhin setzen wir unsere Fahrt flussabwärts fort. Aber, ein Unglück kommt selten allein und schon bald beginnt es zu regnen. Der Regen hält den ganzen Tag über an, was die Stimmung weiter nach unten drückt. Zu dem ganzen Schlamassel kommt noch, dass wir Abends partout keinen Lagerplatz finden, bis wir erschöpft und durchnässt bis auf die Haut irgendwo anlanden und im dichten Unterholz eine kleine Lichtung ausschlagen, um unsere Zelte aufstellen zu können. Mit großer Anstrengung gelingt es uns nach einiger Zeit ein Feuer zu entzünden. So kommen wir doch noch in Genuss eines warmen Abendessens, bevor wir uns sofort in unsere gottseidank trockenen Schlafsäcke verkriechen.

Am nächsten Tag ist es zwar trüb, aber trocken. Im Lauf des Tages passieren wir die Mündung des White River. Hier kann man beobachten, wie sich das helle Wasser des White River mit dem dunklen des Yukon nach und nach vermischt. Nach dem die schönen Lagerplätze immer rarer werden, legen wir an einer flachen Schotterbank in der Flussmitte an, um unser Abendlager aufzuschlagen. Frühmorgens holt mich ein dringendes Bedürfnis aus dem Zelt wo ich verblüfft feststellen muss, dass der Wasserspiegel des Flusses über Nacht beträchtlich angestiegen ist. Unsere Boote, die wir gestern Abend noch weit das Ufer hinaufgezogen haben tanzen nun fröhlich im Wasser. Es sind aber nur mehr drei Kanus da, das heißt, eines war nicht angebunden und hat sich über Nacht verselbständigt! Das heißt: wir sind zu acht, haben nur mehr 3 Boote und Dawson City ist noch 2 Tagesreisen entfernt. Peter greift also wieder einmal zum Satellitentelefon und ruft seinen Chef an. Der bekommt fast einen Herzinfarkt und meint, er soll ihn nie wieder über das Satellitentelefon anrufen.
Aber, Peter ist nicht nur ein ausgezeichneter Kanuguide und Pilot, so nebenher betätigt er sich auch als Erfinder. Also binden wir die drei verbliebenen Boote nebeneinander zusammen, verteilen unser gesamtes Gepäck auf diesen "Trimaran" und finden oh Wunder auch noch einen Sitzplatz für alle Personen und den Bären. Und schon geht's wieder los. Das "Ding" lässt sich zwar etwas schwer steuern, aber es schwimmt! Erhobenen Hauptes legen wir tags darauf mit unserem "Trimaran" in Dawson City an. Die vor allem zum Schluss ziemlich abenteuerliche Fahrt am Yukon ist somit zu Ende.

Dawson City, die bekannte Goldgräberstadt, ist für die nächsten beiden Tage unsere Heimat. Nach einer ausgiebigen Dusche in unserem Hotel - ein ordentliches Bier haben wir uns natürlich sofort nach der Ankunft genehmigt - machen wir uns daran, die Stadt zu erkunden. Wären nicht die Autos in den Straßen, man könnte glatt meinen eine Zeitreise um 100 Jahre zurück angetreten zu haben; überall die typischen Holzhäuser aus der Pionierzeit der Jahrhundertwende. In Dawson findet sich auch ein originalgetreuer Nachbau der Blockhütte von Jack London, die dieser bei seiner erfolglosen Goldsuche 1897-98 am Henderson Creek bewohnt hatte. Die Originalhütte wurde von Trappern 1936 wiederentdeckt und anhand einer von Jack London an der Hüttenwand angebrachten Schrift identifiziert. Der heutige Nachbau in Dawson City beherbergt ein kleines Museum über den berühmten Schriftsteller.

Am Morgen brechen wir zu den Goldfeldern des Klondike River auf, wo bis heute noch immer Gold geschürft wird. Hier kann man alle Arten des Goldwaschens - von der Handpfanne, über die riesigen dampfbetriebenen Schürfbagger ("Dregdes") der vierziger Jahre bis zu den heutigen Methoden mit dem Kettenbagger -beobachten. Auf einem privaten Claim können wir es dann selbst mit der Pfanne versuchen und tatsächlich, nach einigen Minuten angestrengtem im-Kreis-drehen finden sich ein paar klitzekleine glänzende Goldflocken auf Boden der Pfanne. Eine magere Ausbeute für das mühsame Unterfangen. Reich wird man bei dieser Arbeit also genau so wenig leicht, als bei jeder anderen! Am Abend ist dann noch ein Besuch bei "Diamond Tooth Gerties", dem ersten Casino Kanadas, angesagt, wo allabendlich Tanzshows wie aus den Pioniertagen des Goldrausches stattfinden.
Mit der Rückfahrt nach Whitehorse an, wo wir am späten Nachmittag eintreffen, ist die Reise für die meisten Teilnehmer zu Ende. Nicht aber für mich, mein Rückflug findet erst zwei Tage später statt und so bleibt noch Zeit für einen Abstecher zum Kluane Nationalpark.

Wir, mein Begleiter Rainer und ich, fahren daher weiter auf dem Alaska-Highway über Haines Junction zum Dezadeash Lake, wo wir in einer kleinen gemütlichen Blockhütte Quartier beziehen. Hier im Nationalpark befindet sich mit dem Mt. Logan (5.959 m) der höchste Berg Kanadas. Aber zwischen uns und dem Berg befinden sich noch hunderte Kilometer weglose Wildnis. Am nächsten Tag unternehmen wir eine Wanderung und steigen ein paar hundert Höhenmeter durch unberührte Natur den nächsten Hügel hinauf. Das trübe und regnerische Wetter verwehrt uns leider die Aussicht auf die vergletscherten Berge der dahinterliegenden Elias-Range.
Am letzten Abend am Lagerfeuer lasse ich die vergangenen 2 Wochen noch einmal an mir vorüberziehen. Eine abenteuerliche und manchmal auch etwas anstrengende, für mich aber trotzdem entspannende Reise durch eine Wald- und Wildnislandschaft, wie man sie in unseren Breiten gar nicht mehr kennt, ist zu Ende. Ich bin glücklich ob der Erfahrungen die ich in dieser Zeit machen konnte.



aktualisiert: 06.02.2006
Martin Nessl, A-3494 Theiß, Obere Hauptstraße 2
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