Reisebericht "Ecuador und Cotopaxi"

5. Juli 2002 - mit einem Transferflug Wien-Amsterdam beginnt meine Reise nach Südamerika. Entspannt, endlich allen Alltagskram hinter mir lassen zu können, lehne ich mich in den Sessel zurück und harre der Dinge, die da wieder einmal auf mich zukommen! Schon am nächsten Morgen lande ich in Quito und hier, am Flughafen, treffe ich auch die übrigen Reiseteilnehmer; ich bin wieder einmal der einzige Österreicher!

Tags darauf verlassen wir die Hauptstadt Richtung Norden, überqueren den Äquator und wechseln dabei wieder von der südlichen auf die nördliche Hemisphäre. Ziel unserer Fahrt ist die Laguna Cuicocha, ein in einem Naturschutzgebiet gelegener Kratersee. Eine mehrstündige Wanderung in vegetationsreicher Umgebung und schönen Ausblicken auf den See führt uns um die Lagune herum. Die Umrundung der Lagune soll uns nicht nur die Natur näher bringen, sondern auch auf die nächsten Trekkingtage einstimmen.

Nach einer Übernachtung in einer landestypischen Hosteria brechen wir zu unserem fünftägigen Trekking in das Pinan-Gebirge auf. Im Abendlicht erreichen wir unser erstes Zeltlager, wo uns unsere Begleitmannschaft - Koch, Küchenhelfer und Hilfspersonal für die Tragpferde - bereits erwartet. Kaum haben wir uns in den Zelten eingerichtet, ist auch schon ein exzellentes Abendessen fertig am Tisch. Wegen der Nähe zum Äquator gibt es nur eine kurze Dämmerung und schon bald ist es stockdunkel. Sogleich wird es empfindlich kühl, so dass die Gespräche am Tisch bald verebben und alle nach und nach ihre Schlafsäcke aufsuchen. Die Trekkingroute führt uns um den Yanaurcu (4.535 m), den wir am vierten Trekkingtag besteigen. Das Wetter spielt aber leider nicht mit und so wird unser Aufstieg von ständigem Nieselregen begleitet. Überdies raubt uns der Nebel am Gipfel jegliche Aussicht - schade!

Nach unserer Rückkehr in die Zivilisation ist ein Besuch am Wochenmarkt in Otavalo angesagt. Der wohl bekannteste Indiomarkt in Ecuador ist ein Erlebnis für sich. Stundenlang kann man sich über den Markt treiben lassen und doch nicht satt sehen am emsigen Marktleben. Es gibt nahezu nichts, das hier nicht zu finden wäre!
Zurück in Quito stehe ich vor einer schwerwiegenden Entscheidung - Cotopaxi, ja oder nein? Ich muss nun endgültig bekannt geben, ob ich die Besteigung des Cotopaxi (5.897 m) versuchen möchte. Nach dem mir mitgeteilt wird, dass ambitionierte Trekker durchaus in der Lage sind, den Aufstieg (ca. 1.100 m) zum Gipfel zu schaffen, melde ich mich an. Die erforderliche Ausrüstung leihe ich mir aus.

Am nächsten Tag fahren wir - vier Reiseteilnehmer und zwei Bergführer - zum Cotopaxi-Nationalpark. Schon von weitem haben wir den Berg vor Augen, der sich mit seiner weißen Eishaube deutlich von den anderen Bergen abhebt. Auch lässt ihn seine typische Form sofort als Vulkan erkennen. Die Fahrt führt uns bis auf 4.500 m, dann ist aber Schluss. Die restlichen 300 Höhenmeter zur Josè-Ribas-Hütte müssen wir zu Fuß über lockeres Vulkangestein aufsteigen. Die Hütte liegt rund 100 m unterhalb des Gletscherrandes und dient als Ausgangspunkt für jede Cotopaxi-Besteigung. Nach dem wir uns im Lager unter dem Dach eingerichtet haben, wandern wir mit unserem Bergführer noch ein Stück höher zum Gletscherrand. Hier üben wir erst einmal das richtige Gehen mit Steigeisen im flachen und steilen Gelände. Das Wetter ist wieder ziemlich trüb und ständig ziehen schwere Wolken um uns herum, die sich schließlich zu einem beständigen Nieselregen entwickeln. Durchnässt kehren wir nach 2 Stunden in die Hütte zurück, wo wir versuchen, unsere Kleidung für den nächsten Tag zu trocknen. Nach einem frühen Abendessen wird noch der Aufstieg besprochen und schon bald liegen wir alle in unseren Schlafsäcken im Lager.

am Gipfel

Nachts tobt ein Sturm um die Hütte, der mich immer wieder aus dem Schlaf reißt und so bin ich richtig froh, als kurz nach Mitternacht die ersten aus den Schlafsäcken kriechen und daran gehen, sich für den Aufstieg zurecht zu machen. Schon bald herrscht allgemeine Aufbruchstimmung im Lager, nur bei meinem Seilpartner nicht! Der erklärt, dass er nicht mitkommen möchte, weil er das Wetter für zu schlecht hält. Offenbar hat ihn der nächtliche Sturm erschreckt und zu dieser Schlussfolgerung veranlasst. Dabei hat der Wind merklich nachgelassen und auch die dichte Wolkendecke des Vortages hat sich aufgelöst.
Kurz nach 2:00 Uhr brechen wir also zu dritt mit unseren beiden Bergführern auf. Es ist empfindlich kalt und mich fröstelt, anscheinend bin ich doch nicht warm genug angezogen? Nur rund 20 Minuten später haben wir den Gletscherrand erreicht. Im schwachen Schein unserer Stirnlampen legen wir unsere Steigeisen an und binden uns ins Seil. Jetzt verlässt auch noch die beiden Anderen der Mut und sie kehren mit ihrem Bergführer wieder zur Hütte zurück. Trotz der Kälte fühle ich mich gut - ich will auf jeden Fall weiter; will sehen, wie weit ich komme!
Langsam, Schritt für Schritt schieben wir uns den steilen Anstieg hinauf. Es ist stockdunkel, hoch über uns funkeln die Sterne und etwas weiter vor uns glimmen schwach die Lichter zweier Seilschaften. Irgendwann bemerke ich tief unter mir und in einiger Entfernung ein Lichtermeer - Quito! Die Luft wird merklich dünner und ich muss mich immer mehr darauf konzentrieren, nicht auf das Atmen zu vergessen. Ich bin jetzt nur noch "ein Fuß, der vor den anderen gesetzt werden muss"!
Plötzlich ist der Himmel nicht mehr rabenschwarz. Ein schmaler Streifen am Firmament wird bald größer, heller, färbt sich rot und gelb, bis schließlich eine gleißende Sonnenscheibe am jetzt deutlich erkennbaren Horizont auftaucht. Wir tauschen unsere Lampen gegen Sonnenbrillen und setzen unseren Aufstieg fort. Im Morgenlicht wird jetzt auch der restliche Weg einsehbar, der noch vor uns liegt. Immer langsamer wird mein Tempo und das Ziel scheint immer gleich entfernt. Ich beginne, die Schritte zwischen den Atemzügen zu zählen, sie werden immer weniger. Trotzdem befällt mich nie der Wunsch, das Mühsal zu beenden und einfach abzusteigen. Nein, der Wille da hinauf zu kommen ist einfach zu stark!
Und dann geht alles sehr schnell. Über einen leichten Anstieg gelangen wir auf ein kleines Plateau, auf dem bereits 8 - 10 Bergsteiger stehen. Rundherum geht's nur mehr wieder bergab; ich kann es kaum fassen - ich BIN OBEN!

Allgemeines Händeschütteln und fotografieren, ein langer Blick in den Krater und zum Chimborazo, der 100 km weiter südlich aus der Wolkendecke schiebt, ein paar Schlucke aus der Trinkflasche und kurz darauf sind wir schon wieder am Rückweg. Die durch den Adrenalinausstoß hervorgerufene Euphorie hält nur kurz an und schon bald spüre ich am ganzen Körper, wie müde ich bin. Durch die Sonneneinstrahlung wird die Schneeauflage immer weicher, was den Abstieg erheblich erschwert. Zu allem Überdruss stellt sich auch noch ein Problem mit dem linken Steigeisen ein, das ständig vom Schuh rutscht und vom Bergführer notdürftig mit einem Stück Reepschnur geflickt werden muss. Allen Widrigkeiten zum Trotz komme ich heil vom Berg runter, wo ich von den zurückgebliebenen Kameraden schon erwartet werde. Sogleich gibt es ein stärkendes Mittagessen und schon bald darauf rutschen wir den steilen Abhang hinunter, wo bereits der Bus auf uns wartet.

Nach einem Rasttag mit Besuch einer Rosenplantage steht ein weiteres Highlight am Programm: die Zugfahrt über die "Teufelsnase". Schon um 6 Uhr früh sind wir am Bahnhof in Riobamba, damit wir auch wirklich gute Plätze erhaschen. Zur Klarstellung: die "guten Plätze" sind nicht im, sondern am Zug, also am Dach! Für einige US-Dollar kann man sich Sitzkissen ausborgen. Man ist gut beraten, hier nicht zu knausern, denn die Fahrt ist lang und das Dach hart! Nach einer guten Stunde Wartezeit, die Dächer der Waggons sind bereits voll, setzt sich der Zug in gemächlichem Tempo in Bewegung und die Fahrt über das Land beginnt. Bedingt durch die frühe Tageszeit und der Höhe ist es zu Beginn noch empfindlich kalt, doch schon bald wird es wärmer, es geht ja auch immer tiefer hinab. Nach rund 3 Stunden bewältigt der Zug die heikelste Passage, die "Teufelsnase". Hier sind auf kürzester Distanz rund 500 Höhenmeter zu überwinden, was mit Hilfe von Zick-Zack-Kehren gelingt. Das heißt, der Zug fährt eine steile Rampe hinauf und hält an, eine Weiche hinter dem Zug wird umgelegt, worauf der ganze Zug rückwärts eine Gegensteigung hinaufschiebt. Das wird einige Male so wiederholt, bis der Höhenunterschied überwunden ist. Die Bahnstrecke wurde 1902 fertiggestellt und ist bis heute die steilste der Welt. Die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme der letzten Jahrzehnte hat jedoch zur Folge, dass das Streckennetz nur mehr notdürftigst instand gehalten wird und immer mehr verfällt. Die Bahnstrecke hat heute leider nur mehr touristischen Wert und auch dieser wird aus Sicherheitsgründen immer fraglicher.

Am nächsten Tag ist wieder ein Marktbesuch angesagt, wir fahren nach Saquisili. Dieser Markt gehört zu den ursprünglichsten seiner Art in Ecuador. Die Hochland-Indios mit ihren farbenprächtigen Umhängen beherrschen die Szenerie. Nach einigen interessanten Stunden am Markt treten wir die lange Rückfahrt nach Quito an, es wartet noch der Flug in das Amazonas-Tieflang auf uns.

Mit einer kleinen Maschine verlassen wir vormittags Quitio und schon 40 Minuten später landen wir in Coca. Diese Stadt - direkt am Rio Napo gelegen - stellt quasi das Eingangstor in den Amazonas-Urwald dar. Hier erwartet uns bereits das Motorboot, mit dem wir unsere Reise flussabwärts fortsetzen, bis wir nach ca. 5 Stunden in unserer Lodge im Yuturi-Naturschutzgebiet ankommen. Hier bleiben wir die nächsten drei Tage und führen Wanderungen und Tierbeobachtungen im umliegenden Urwald durch. Als Besonderheit verbringen wir eine Nacht inmitten des Urwaldes. Im Freien, lediglich geschützt durch ein Palmwedeldach und ein Moskitonetz, kann man die nächtlichen Geräusche des Regenwaldes besonders intensiv und hautnah miterleben.
Zurück in Quito bleibt noch ein halber Tag für Besichtigungen in der Altstadt, bevor wir den langen Heimflug nach Europa antreten.

Zusammenfassend:
Eine äußerst abwechslungsreiche Reise in einem wirklich schönen Land, die durch die erfolgreiche Cotopaxi-Besteigung meine Leidenschaft für das Bergsteigen hervorgerufen hat!



aktualisiert: 06.02.2006
Martin Nessl, A-3494 Theiß, Obere Hauptstraße 2
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